Von Ballast befreien
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Liebe Leserin, lieber Leser, Ja, was bleibt über die Zeit? Was ist wesentlich und soll bleiben über die Zeit? Und wovon muss ich mich dann vielleicht befreien? Denn das, was wesentlich ist, will sich vielleicht entfalten und braucht dazu Raum. Andererseits hat mein Ballast wahrscheinlich eine bedeutsame Funktion für mich, sonst würde ich ihn ja nicht mit mir herumschleppen. Also streiten sich die Sehnsucht nach Raum und die Beruhigungsfunktion meines Ballastes heftig um die Hoheit in meiner Aufmerksamkeitsfokussierung. Eine Gratwanderung? Eine wichtige Erfahrung dieses Jahres ist das zunehmend und deutlicher gespürte Unwohlsein im Zusammenhang mit dem Erleben von Getrieben-Sein in unterschiedlichen Transformationsprozessen. Allen Transformationsprozessen ist gemeinsam - sie benötigen Zeit: Ob es auf dem Weg zum persönlichen Wesenskern Kompensationen und schmerzhaften Erfahrungen auf die Spur zu kommen gilt oder um einen professionellen Wachstumsprozess, z. B. von der Expertin zur Führungskraft, oder um die Umsetzung zu einer konsequent veränderten Prozessorganisation geht - ohne Raum für das Wahrnehmen, Bedeutung geben, Alternativen suchen, Optionen erproben, Risiken aushalten, Lernen aus Fehlern läuft ein Transformationsvorhaben Gefahr, als "mehr desselben" zu verpuffen. Zwei Literaturquellen verdanke ich in diesem Zusammenhang bedeutsame Impulse: Heike Bruch und Bernd Vogel beschreiben in „Organisationale Energie“ (Gabler Verlag, 2008) vier organisational nachweisbare Energien und die Fallen, die eine Transformation mindestens erschweren. Und Amy C. Edmonson beschreibt in „Die angstfreie Organisation“ (Vahlen, 2020) eindrücklich, welchen Schaden vermeidungsgetriebenes Verhalten von Führenden und Geführten anrichtet und auf welche Weise psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz den notwendigen Raum für Lernen und Innovation schafft. Raum schaffen für: Stocken spüren, innehalten, durchatmen, wahrnehmen, klären, sich orientieren, Unterstützung organisieren, Verantwortung übernehmen, in Fluss kommen, Kreativität entwickeln, in Kontakt gehen, sich vertreten... ob als Mensch, Team, Organisation, darauf kommt es an für uns selbst, in unseren Beziehungen und in der Gemeinschaft der Gesellschaft. So kann sich Empowerment für echte Transformation zeigen. Zuvor ist immer wieder eine mutige und der Sehnsucht Raum gebende Entscheidung wider die Beharrungsmechanismen des Ballastes zu fällen. Dann kann sich ein Wesen erkundend entfalten, eine neue Profession zum Eigenen werden und eine Organisation oder ein Team sich neu und anders auf die Anforderungen einlassen, vertrauend auf das Fundament des Menschseins, die professionelle Kompetenz und die Entwicklungsfähigkeit von Menschen und Systemen. Diese Geschichte, die ich Richard Stiegler verdanke, bringt für mich eine weitere wesentliche Qualität im Transformationsprozess auf den Punkt: „Viele Monate warb ein Liebhaber um eine junge Frau und erlitt die schlimme Qual der Zurückweisung. Schließlich gab die Geliebte nach und sagte, "Komm heute in der Abendstunde zur Bank unter der alten Linde." In der Abendstimmung trafen sie sich und setzten sich nebeneinander auf die Bank. Das Licht war golden und der Himmel war weit. Der perfekte Moment. Da zog der Liebhaber einen Stapel Briefe aus der Tasche. Es waren Liebesbriefe, die er in den letzten Monaten geschrieben hatte. Leidenschaftliche Briefe, voll Schmerz und brennendem Verlangen nach der Geliebten. Er begann sie vorzulesen. Stunde um Stunde verging und er las noch immer. Als die Nacht hereinbrach und er vor lauter Dunkelheit nicht mehr lesen konnte, blickte er auf. Die Bank war leer.“ Wie oft sind wir beschäftigt, getrieben von übernommenen Erwartungen, Sorgen um die Zukunft, planen, planen, planen und verplanen unser Sehnen, für das wir vielleicht noch keinen Namen gefunden haben, weil wir ihm keinen Raum geben und stattdessen den Moment mit Gewohntem füllen. Was kann helfen? Ein paar Anregungen... WegbegleiterInnen: Menschen, die mit ihrer Präsenz, ihrem Mitgefühl, ihrer Aufrichtigkeit und Professionalität da sind. Die nachgewiesene Erfahrung von eigener Kompetenz, Problemlösungsfähigkeit und Standing. Vertrauen in die Fähigkeit, jetzt und hier durch In-sich-Hineinlauschen und Klären den nächsten Schritt vorzubereiten. (Bild: Britta Hümmeler) Darüber hinaus gibt die Workshop-Reihe Kraft tanken mit Pferd mit Bettina Jellouschek-Otto spezielle Unterstützung bei Gratwanderungen, sich Klarheit zu verschaffen, von Ballast zu befreien und mutig weiterzugehen. Als Anregung mag auch Little Yellow Spirit (genannt Spritti) dienen, siehe oben, der nach genussvollem Wälzen sich von Sand (Ballast) befreit und dann weiter sein Ding macht. Nun ist unsere Reise für heute (fast) beendet. Ich wünsche von Herzen ein friedvolles, gesegnetes Weihnachtsfest, Ruhe für das Innehalten zwischen den Jahren und einen kraftvollen Start in das neue Jahr 2025. Möge es dazu beitragen, immer mehr zum Wesentlichen zu gelangen.
![]() PS: Deine Gedanken zu diesem Newsletter sind sehr willkommen. Oder vielleicht begegnen wir uns beim DGTA-Kongress 2025? |
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